Fakten und Mythen

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Unzählige hartnäckige Mythen prägen das Bild der Modeindustrie. Steht "Made in Europe" für mehr Fairness? Trägt die Industrie eine Mitverantwortung? Und welche Rolle spielt der Markt dabei? Public Eye ist den gängigsten Mythen auf den Grund gegangen.

Mythos 1: Made in Europe und darum fair?

Stimmt nicht! Der Standort ist nicht entscheidend. Auch in Europa wird zu Tiefstlöhnen produziert.

Mythos 2: Teuer und darum fair?

Stimmt nicht! Der Preis ist nicht entscheidend. Auch Luxusmarken lassen zu Tiefstlöhnen produzieren.

Mythos 3: Regierungen, nicht Firmen setzen Mindestlöhne fest.

Stimmt nicht! Das Recht auf einen Existenzlohn ist in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verankert. Staaten sind verpflichtet, Menschenrechte zu schützen. Sie müssen also den gesetzlichen Mindestlohn auf einem existenzsichernden Niveau festlegen. Tun sie dies nicht, dürfen Unternehmen diesen Umstand nicht ausnutzen. Die UNO-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte legen fest, dass Unternehmen Menschenrechte respektieren müssen, selbst dann, wenn das Produktionsland diese nicht (ausreichend) schützt. Die Verpflichtung, einen Existenzlohn zu bezahlen, gilt also für jede Modefirma und in jedem Produktionsland.

Mythos 4: Lieber ein schlecht bezahlter Job als gar kein Job

Stimmt nicht! Die Auslagerung der Produktion in Tiefstlohnländer wird mit der Schaffung von Arbeitsplätzen gerechtfertigt. Doch die tiefen Löhne bringen weder den Beschäftigten noch der lokalen Wirtschaft den erhofften Fortschritt. Im Gegenteil: Armut wird zementiert und die Arbeiterinnen und Arbeiter sind gefangen in einem Teufelskreis aus tiefen Löhnen, Überstunden, Schulden und Abhängigkeiten, die es ihnen erschweren, sich für ihre Rechte einzusetzen. Erst wenn Markenfirmen Existenzlöhne bezahlen, ist «faire Mode» möglich.

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Praktisch das ganze Jahr Sale: Auch bei extrem tiefen Preisen wäre selbst eine Verdoppelung des Lohnes der Näherinnen für Konsumierende kaum spürbar

Mythos 5: Die Leute wollen nicht mehr Geld für Kleider bezahlen

Stimmt nicht! Konsumierende haben sich an sehr tiefe Preise gewöhnt, doch Existenzlöhne in Fabriken bedeuten nicht zwangsläufig höhere Verkaufspreise. Denn nur 0.5-3% des Endverkaufspreises geht durchschnittlich als Lohn an die Näherinnen. D.h: an einem T-Shirt für CHF 10.- verdienen alle beteiligten Arbeiter gerade mal 5-30 Rappen. Selbst wenn dieser Lohn verdoppelt oder verdreifacht wird, führt das nur zu marginal höheren Lohnkosten, die Modeunternehmen problemlos tragen könnten.

Mythos 6: Der Markt sorgt für angemessene Löhne

Stimmt nicht! Der Markt sorgt nicht für angemessene, sondern tiefe Löhne. Diese sind ein Standortvorteil im globalen Wettbewerb. Weil viele Länder stark von den Exporteinnahmen aus der Bekleidungsindustrie abhängig sind, genügt die Androhung einer Produktionsverlagerung, damit Regierungen ihre Politik den Erwartungen der mächtigen Markenfirmen anpassen. 2013 betrugen die Umsätze von H&M und Inditex zusammen fast gleich viel wie das Bruttoinlandprodukt von Bulgarien und mehr als dreimal soviel wie jenes von Kambodscha. Markenfirmen dürfen dieses Machtgefälle nicht ausnutzen und müssen endlich einen Existenzlohn zahlen.